Aufnahmeskript
SCHOPOWSKI
Hallo allerseits zu einer neuen Ausgabe der “Heimatgespräche”. Die Sendung steht heute unter der Überschrift: Die Kunst des Loslassens: Wie befreien wir uns von unnötigem Ballast und haben wieder mehr Freude am Leben. Rufen Sie uns an unter der bekannten Nummer 0335836712994883971166594 dreimal die Sieben, dreimal die Acht und zuletzt die Taste mit der Raute. Berichten Sie uns, wie Sie ihr Zuhause entrümpeln konnten, wie Sie wieder Ordnung in ihr Leben gebracht haben, und was Sie dabei für sich gelernt haben. Haben wir schon jemand in der Leitung?
MUTTER
Na endlich. Jetzt hör mir zu. Was machen meine Rosen? Du hast sie doch zurückgeschnitten, wie ich es dir aufgeschrieben habe?
SCHOPOWSKI
Hallo Frau … äh … mit wem spreche ich denn?
MUTTER
Und wehe du hast den Schnitt auf den Komposthaufen gebracht. Der verrottet da nicht gut …
SCHOPOWSKI
Mama? Bist du das?
MUTTER
Hast du überhaupt die Schere danach wieder aufgeräumt? Du hast immer schon alles liegen lassen. Du weißt: Nachdem dein Vater auf *deiner* Rassel ausgerutscht ist war er nie mehr der selbe. Kein Wunder, dass er abgehauen ist.
SCHOPOWSKI
Mama, ähm, das ist ja … total nett, dass du anrufst, aber doch bitte nicht in der Sendung.
MUTTER
Man erreicht dich ja sonst nicht. Seit Wochen versuche ich dich anzurufen, ach was, seit Monaten. Gehst du vielleicht mal an dein Telefon? Rufst du vielleicht mal zurück? Ist es zu viel verlangt, dass eine Mutter mit ihrem Sohn sprechen will?
SCHOPOWSKI
Bestimmt n icht, haha, aber du weißt ja, wie es ist, ich habe wenig Zeit, die Arbeit, der Verein..
MUTTER
Ach so ist das: Am Stammtisch macht er sich wichtig, aber für seine Mutter hat er keine Zeit.
SCHOPOWSKI
Mama, Bitte. Du rufst hier nicht privat an, sondern in meiner Sendung.
MUTTER
Na und? Also, man muss das Wasser im Teich erneuern. Hast Du das gemacht? Und einmal die Woche die Sauerstoffpumpe anschalten. Ich hoffe du hast die Pumpe nicht vergessen. Dir ist doch klar, dass meine Fische sonst ersticken?
SCHOPOWSKI
Was für ein Teich?
MUTTER
Hardy!!
SCHOPOWSKI
Ach, der Teich, klar, jetzt beruhige dich bitte, da ist alles in Ordnung, in bester Ordnung, die Fische schwimmen, linksrum, rechtsrum, manche sogar auf dem Rücken, die haben Spaß, jede Menge Spaß!
MUTTER
Lass Dir gesagt sein, ich hätte dich im Leben nicht an den Garten gelassen, wenn mir irgendjemand anderes eingefallen wäre. Aber dein Onkel ist von den Hoden abwärts gelähmt, jedenfalls tut er so, und Tante Hanna ist dreiundneunzig und hat gerade wieder versucht sich selbst mit ihrer Strumpfhose zu erwürgen.
SCHOPOWSKI
Mama, äh … da ist gerade ein Anrufer für die Sendung in der Leitung. Sei mir nicht böse, aber wir sprechen ein andermal. Gleich nachher ruf ich dich zurück ja? Paul? Kannst du bitte den nächsten Anrufer durchstellen?
REGIE
(mit vollem Mund)
Ist noch niemand in der Leitung.
MUTTER
Jetzt will sich der Feigling schon wieder davonstehlen. Seit drei Monaten bin ich jetzt in diesem Rattenkäfig. Nur vorübergehend, hast du gesagt. Bis es mir wieder besser geht, hast du gesagt. Du passt so lange auf das Haus auf, hast du gesagt, und auf den Garten.
SCHOPOWSKI
Ja, natürlich, bis du dich ganz auskuriert hast. Ich will nur dein Bestes, Mama, das weißt du doch. Mit so einem Hüftbruch ist nicht zu spaßen. Die Kurzzeitpflege war das Beste was wir machen konnten. Und es ist wirklich nur vorübergehend, ich schwöre.
MUTTER
Hör auf zu schwören, davon wird mir ganz übel. Wann denkst du mich denn hier rauszuholen? Hast du übrigens gewusst, dass das Gelände geschlossen ist? Und überall dieser grässliche hohe Zaun mit dem Stacheldraht. Etwas Abscheulicheres hast du nicht finden können, um mich unterzubringen?
SCHOPOWSKI
Jetzt sieh doch nicht immer alles so negativ. Man kümmert sich da um dich, das tut dir gut.
MUTTER
Woher willst du das wissen? Nach der Nacht, in der du mich hergefahren hast, bist du seit drei Monaten nicht mehr aufgekreuzt. Nicht mal zu meinem Geburtstag.
SCHOPOWSKI
Der war schon wieder? Aber du hast doch im … lass mal sehen …
MUTTER
Warum bist du kein Mädchen geworden, das würde mir sowas nicht antun. Ich hatte um ein Mädchen gebetet. Und dann bist du herausgekommen, mit diesen übergroßen, unheimlichen Froschaugen. Ich hätte doch abtreiben sollen.
SCHOPOWSKI
Mama, du weißt doch wie lieb ich dich hab.
MUTTER
Ich dich nicht. Meine Liebe hast du dir verspielt, wo du mit dieser Meier-Hure angekommen bist.
SCHOPOWSKI
Die Julia? Wir waren dreizehn und haben Hausaufgaben gemacht.
MUTTER
Sie hatte lächerlich kurze Arme.
SCHOPOWSKI
Trotzdem hättest du sie nicht verprügeln müssen.
MUTTER
Anscheinend war’s dir keine Lehre. Kaum dreißig Jahre später schleppst du schon die Nächste an. Und auch noch eine Asiatin. Wo hast du die überhaupt her? Was hast du den armen Eltern in Bangladesh für sie bezahlt?
SCHOPOWSKI
Bezahlt? Was redest du denn da?
MUTTER
Ein normales Mädchen würde sich doch nie auf einen wie dich einlassen. Hast du sie am Ende entführt?
SCHOPOWSKI
Das war eine ganz seriöse Agentur.
MUTTER
Menschenhändler!
SCHOPOWSKI
Woher weißt du überhaupt …
MUTTER
Die Bärbel hat es sich notiert. Seit dem 21. April geht ihr täglich bei mir ein und aus. Wolltest wohl so tun, als wäre es dein Haus. Wolltest sie nicht in deine verwanzte Kellerbude mitnehmen.
SCHOPOWSKI
Wir sind da nur vorübergehend, ich schwö… Schau, es wäre einfach zu weit gewesen, jedesmal von mir rüberzufahren. Paul! Können wir jetzt *bitte* abbrechen?
REGIE
(schmatzend)
Einen Moment noch.
SCHOPOWSKI
Mama, ich sag es dir nochmal, das ist kein Privatgespräch. *Alle* können uns hören.
MUTTER
Umso besser. Sollen sie erfahren, was ich da geboren habe. Und jetzt sag mir endlich, wann du mich hier abholen kommst.
SCHOPOWSKI
Was ist denn das Problem. Ist es nicht schön im Heim? Sag mir doch, wenn dir etwas nicht passt. Ich setze alle Hebel in Bewegung, ich rede sofort mit der Leitung, ich …
MUTTER
Mit Guido Frankenstein? Na viel Glück. Der sammelt Totenschädel und Gebeine, hast du das gewusst? Das ganze Büro ist voll von diesen schauerlichen Glaskästen. Und immer wenn hier jemand stirbt, kommt ein paar Tage später ein neuer Schädel dazu.
SCHOPOWSKI
Das bildest du dir sicher nur ein.
MUTTER
Die Leute sterben hier wie die Fliegen.
SCHOPOWSKI
Aber das ist doch … normal in so einer Einrichtung … Und es gibt einen wunderschönen Garten.
MUTTER
Das ist kein Garten, das ist ein Friedhof.
SCHOPOWSKI
Es ist trotzdem ein schönes Heim.
MUTTER
Es heißt “Zur letzten Ruhe”.
SCHOPOWSKI
Ein schöner Name.
MUTTER
Ich wär hier schon längst weg, wenn sie mich gelassen hätten. Aber du hast da irgendwas gedreht, die Heimleitung weigert sich, es geht nur mit deiner Unterschrift, sagen sie. Erklär mir das.
SCHOPOWSKI
Reg dich bitte nicht auf, es ist nicht wie du denkst.
MUTTER
Wie denke ich denn dass es ist? Hast du mich entmündigt? Wie hast du das geschafft?
SCHOPOWSKI
Nein, wo denkst du hin, so heißt das heute nicht mehr, deine Gedanken sind frei, wie es im Lied heißt
(er singt)
“Die Gedanken sind frei …”
MUTTER
Hardy!!
SCHOPOWSKI
Ich bin dein gesetzlicher Betreuer, das ist alles.
MUTTER
Du betreust mich? Das soll wohl ein Witz sein. Wie hast du das geschafft?
SCHOPOWSKI
Na, weißt du, du warst in letzter Zeit so … so vergesslich. Ich habe mit Doktor Schweißfurt gesprochen, der sieht es genauso.
MUTTER
Doktor Schweißfurt? Den ich wegen der verrutschten Gesäß-Implantate verklagt habe? Und ihr zwei habt euch auf meine Demenz geeinigt? Was hast du ihm dafür versprochen?
SCHOPOWSKI
Alle meinen es gut mit Dir, Mama. Denk mal nur an die Tür über der Kellertreppe, die du runtergefallen bist. Warum war die nicht verriegelt, hm? Wer hat vergessen den Riegel vorzuschieben? Da siehst du es.
MUTTER
Du Teufel!
!Pause
SCHOPOWSKI
Vielleicht möchtest du mal etwas zum heutigen Thema sagen. Es geht um die Kunst des Loslassens. Vielleicht willst du auch etwas weggeben, dich erleichtern, entrümpeln?
MUTTER
*Mich* hast du entrümpelt. Ich bin nur froh, dass ich dich schon vorher enterbt hatte. Jetzt würde ich sogar dafür deine Unterschrift brauchen.
SCHOPOWSKI
Haha, wie bitte? Das ist ein Witz, oder? Mama, du weißt, was du mir immer bedeutet hast. Du hast mich wirklich enterbt?
MUTTER
Ja.
SCHOPOWSKI
Wann?
MUTTER
Da warst du sechs Jahre.
SCHOPOWSKI
Das ist doch … Mama, ich … Wer soll denn alles bekommen?
MUTTER
Die Kirche wird alles bekommen. Das Haus, das du belagerst, die Wohnung in der Mariengasse, den Bungalow in Brindisi, alles.
SCHOPOWSKI
Aber ich bin doch dein einziger Sohn. Du hast doch sonst niemanden, der dir so nahe steht wie ich.
MUTTER
Ein Scharlatan bist du. Was du da immer faselst von wegen der ‘Heimat’. Und dann befleckst du unsere Traditionen mit diesen Asiatinnen.
SCHOPOWSKI
Ich liebe meine Heimat, wie alle unsere Hörer.
MUTTER
Die armseligen Spinner, die bei dir anrufen und lächerliche Geschichten aus ihrem verkorksten Leben erzählen?
! Pause
SCHOPOWSKI
Und wenn du erstmal nach Hause kommst? Ich mache dir alles schön. Wir denken in Ruhe gemeinsam darüber nach. Ich meine es wäre doch schade, wenn …
MUTTER
Nach Hause soll ich kommen? Damit ich nochmal die Kellertreppe runterfalle? Ich denke gar nicht daran. Da bin ich doch hier sicherer. Vielleicht ende ich in Dr. Frankensteins Vitrine, aber der wird mich wenigstens in Ehren halten. Ja, ich werde loslassen. Ich werde mich von meiner irdischen Hülle verabschieden. Hier gibt es wunderbare Vorbereitungskurse, das muss man dieser Leichendeponie von einem Heim lassen. Kein Bingo, aber dafür täglich Seminare. Soll ich dir mal den Prospekt vorlesen?
(liest)
“Sorge dich nicht – sterbe”, “Achtsam einschläfern”, “Sanfte Selbstenthauptung”, “Heute ist mein letzter Tag” …
SCHOPOWSKI
Schon gut, schon gut.
MUTTER
Das mit der Selbstenthauptung klingt reizvoll. Jetzt, da ich weiß, wo mein Platz in der Familie ist …
SCHOPOWSKI
Warum lassen wir nicht all das Hässliche hinter uns, und ich meine damit auch meine Zeit als Ministrant bei Pfarrer Holderstein. Warum war der eigentlich so oft bei uns zuhause? Na egal. Lass uns doch nochmal von vorne anfangen, ja?
MUTTER
Nein, nein, ich hab’s mir überlegt, ich bleib hier. Ehrlich gesagt, so schlecht ist der Garten gar nicht. Sie bieten einem gegen eine kleine Testamentskorrektur sogar eine kostenlose Parzelle an. Bei den Weiden, ganz hinten, da ist es wunderbar, da rauscht sogar ein kleiner Bach vorbei.
REGIE
(kauend)
Jetzt wäre jemand in der Leitung. Ich stelle durch.
SCHOPOWSKI
Nein, nicht jetzt.
Mama, du brauchst noch nicht sterben, du bist noch kerngesund … von der zerschmetterten Hüfte mal abgesehen, aber das löten sie schon wieder zusammen.
MUTTER
Dann schauen wir mal, wie du ohne mich zurecht kommst. Und ohne mein Erbe. Was verdient man denn so im Lokalradio? Bist du als vierzigjähriger Minijobber wenigstens sozialversichert? Und wo wirst du mit deiner Chigulla unterschlüpfen, he, wenn die Kirche das Haus konfisziert?
SCHOPOWSKI
Mama, es gibt doch keinen Grund hässlich zu werden. Komm heim, ich mach dir einen Tee und wir reden über alles.
MUTTER
Wegen dir kann ich vielleicht nie wieder richtig gehen! Hab ich etwa Lust den Rest meiner Zeit im Rollstuhl zu verbringen?
SCHOPOWSKI
Als Krüppel bekommst du doch überall Vergünstigungen. Und ich kauf dir neue Fische für den Teich, große Fische, goldene Fische – welche magst du denn?
MUTTER
Ich wusste, dass sie tot sind.
Hardy, leb wohl! Ich will versuchen dir zu verzeihen und oben ein gutes Wort für dich einzulegen.
SCHOPOWSKI
Das mit der Enthauptung lässt du aber, ja? Das gibt doch eine Riesensauerei. Mama?
REGIE
Sie hat aufgelegt. Soll ich den nächsten durchstellen?
SCHOPOWSKI
Nein, danke.
Liebe Hörerinnen und Hörer, es tut mir leid, dass Sie heute Zeuge dieser sehr privaten Unterhaltung werden mussten. Lassen Sie uns das alles schnell vergessen und hören Sie zum Abschluss noch einmal das Oberländer Jausentrio mit dem “Jubel-Ländler”. Am Mikrofon war wie immer Hardy Schopowski, der seine Heimat wirklich liebt.
Subscribe To Our Newsletter
Subscribe to receive info on our latest news and episodes